Was für ein Wert hat ein Text über Werte für einen Schreibwettbewerb? Oder wäre es richtiger zu fragen: Welchen Wert? Was ist es mir wert, diesen Text zu schreiben? Welchen Wert mag der Text für jemand anderen haben, für die Jury z.B.?
Eine Jury wird diesen Text bewerten – ich habe keine Ahnung, nach welchen Maßstäben. Vielleicht befinden die Juroren den Text für gut, bepreisen ihn womöglich. Zumindest kann ich mich dann wertgeschätzt fühlen.
Mir persönlich sind Werte sehr wichtig. Einerseits als Orientierung für mein Leben und andererseits denke ich auch gerne über Werte nach. Z.B. über die Orientierungsfunktion von Werten. Werte können mir sagen, wohin ich mich wenden soll, was es wert ist, getan zu werden und manchmal auch was es eben nicht wert ist.
Werte vermitteln mir auch Aspekte meiner Identität, denn das Gute, an das ich glaube, macht mich auch zu diesem Wesen, das ich bin. Zuguterletzt vermitteln mir Werte auch Sinn – ich erkenne so, was mir wert- und sinnvoll erscheint und erlebe Sinn in dem was ich erlebe und tue.
Aber, woran kann ich denn erkennen, dass etwas werthaltig oder wertvoll ist? Was vermittelt mir den Wert einer Tat, einer Sache, eines Menschen? Oder auch: Wie habe ich erlernt, was mir heute als wertvoll gilt?
Diese Frage führt mich zu meinem Geworden-Sein. Also wie bin ich zu der Person geworden, die ich heute bin? Der Mann, der für sich in Anspruch nimmt, ein wertvolles Leben sein Eigen zu nennen, dieses Leben nach Wertgrundsätzen zu leben und hofft, wertvolle Gedanken zum Thema „Werte“ preiswürdig aufschreiben zu können.
Vielleicht hat es ja schon begonnen, bevor ich zu einer Person wurde. Vielleicht liegen ja schon Werte in meinem Mensch-Sein begründet. Gibt es so etwas wie einen Gattungswert? Ein Wert, der mit der Existenz auf die Welt kommt bzw. Gibt es eine Wertsphäre, in die ein Mensch hineingeboren wird?
Gibt es biologische Werte?
Die Biologie hat den Rang einer Naturwissenschaft. Es gelten in ihr also nur empirisch ermittelte Fakten, die sich ursächlich miteinander verknüpfen lassen. Deshalb interessiert sich die Biologie nicht besonders für Werte. Allenfalls Werte, die aus der Großtheorie „Evolution“ abgeleitet werden können, erhalten die Auszeichnung „sinnvoll“. Evolutionär wert- oder sinnvoll erscheint, was der Fortpflanzung und dem Überleben dient.
Biologen sprechen auch gerne über den „Grundwert der Biologie“ und meinen damit, dass der Erhalt des eigenen Lebens einen angeborenen Vorrang hat. Ein instinktiver Wert sozusagen, der uns bauartbedingt mitgegeben ist. Vielleicht ist das der Grund, warum in wohl allen Kulturen das Leben und die Gesundheit der Teilnehmenden hochgeschätzt wird.
Aus neurologischer Perspektive ließe sich anführen, dass eine Wertung für die Möglichkeit bewusster Wahrnehmung grundlegend notwendig ist. Denn was nützte es, wenn ich etwas wahrnehmen kann, aber dessen Wert für mich nicht einzuschätzen vermag? Ist es bekannt oder unbekannt? Ist es gefährlich oder harmlos? Ist es lecker oder ekelerregend? Bereitet es Lust oder eher Schmerz? Oder auch: Finde ich es schön oder abstoßend? Scheint es plausibel oder abwegig? Macht es Sinn oder ist es einfach nur Blödsinn? Werte vermitteln also erst den Sinn einer Erfahrung, der dann sinnvolle, weil mir angemessene Handlungen, nach sich ziehen kann.
Eine weitere biologische Gegebenheit ist die sog. Bindungsbeziehung. Sie ist uns Menschen ebenfalls angeboren. Eine sichere Bindung hat einen hohen Wert für die Beteiligten. Und seit wir wissen, dass Säuglinge kompetent sind, also aktiv die Bindungsbeziehung mitgestalten, könnte man annehmen, dass schon Babys den Wert einer starken und sicheren Bindung kennen. Natürlich könnte man die Bindungsbeziehung noch als Ableger des Überlebensinstinkts betrachten. Aber die Bindung bringt eine neue Dimension hervor – eine vertraute Zweisamkeit, die erst meine individuelle Entwicklung ermöglicht. Vielleicht auch hier ein Anklang zur weltweit verbreiteten Hochachtung für Mütter und ihre Babys.
Daran schließt noch die Erkenntnis an, dass schon sehr junge und noch vorsprachliche Kleinkinder, unfaires Verhalten erkennen können und es erkennbar ablehnen. Auch ohne unmittelbare Vorbilder zeigen sich Kleinkinder und Kinder vorwiegend hilfsbereit und gemeinschaftsbezogen.
Am fließenden Übergang von der Biologie zur Kultur steht die typisch menschliche Fähigkeit, sich wechselseitig aufeinander zu beziehen, um eine gemeinsame Aufgabe zu lösen. Die Verlässlichkeit, die hier von Nöten ist, das Versprechen, seine Aufgabe zu erfüllen, ohne dass keine Kultur entstehen könnte, scheint mir auch ein ganz grundlegender Wert der menschlichen Existenz zu sein.
Es scheint also, als würde bereits die Existenz als Mensch Werte mit sich bringen. Aber können das echte Werte sein? Also Werte im Sinne ethischer Werte? Es sind jedenfalls Werte, die uns auf einen Weg zu einem guten Lebensgefühl führen können. Ich würde sagen, sie werden in dem Moment ethisch, in dem sie als Werte erkannt und anerkannt werden.
Am Leben zu sein, ist die notwendige Voraussetzung, um überhaupt über Werte nachdenken zu können. Damit werden Werte, die das Leben schützen und fördern, fast schon geheiligt. Ebenso heilig wäre dann die Liebe, verstanden als gegenseitige starke Bindung, denn ohne diese Liebe wäre es ebenfalls sehr schwierig, sich über Werte Gedanken machen zu können.
Was macht einen kulturellen Wert aus?
Im Bereich der Kultur angekommen, beginnen nun die Unterschiede. Ich teile mein Mensch-Sein mit allen Menschen, aber mein Deutsch-Sein nur noch mit einigen. Dass verschiedene Kulturen verschiedene Wertsysteme haben, ist offensichtlich.
Und die Kultur ist die Wiege des bewussten Erlebens. Mit der sprachlichen Kultur entsteht ein Bewusstseinsraum. Mit dem Bewusstsein entstehen Fragen, die sich nur bezogen auf Werte beantworten lassen. Das Bewusstsein ist in der Biologie verwurzelt und erblüht in der Kultur – man könnte die dann entstehenden geistigen Werte als die Früchte des Bewusstseins betrachten.
Nahezu alle Kulturen begründen ihre Wertesysteme mit ihrer Tradition. „Unsere Vorfahren haben das schon so gehandhabt, also werden wir es ebenfalls tun.“ Dass diese Traditionen sich in einem ökologischen Umfeld entwickelt haben, wird meistens weniger betont. Aber natürlich war es so. Ob sich eine Kultur in den Tropen, den gemäßigten Zonen oder in der Kälte der Arktis am Leben erhält, färbt natürlich die notwendigen Tätigkeiten ein.
Die traditionellen Werte regeln dann u.a., wer wen heiraten darf oder muss, wer für welche Aufgaben zuständig ist, wie den Ahnen und den Göttern gedankt werden muss und auch, was erlaubt und verboten und wie Übertretungen gerichtet und bestraft werden.
Bei genauerer Betrachtung erscheinen die Unterschiede in den Traditionen nicht mehr so erheblich. Im Wesentlichen werden dieselben Themen behandelt. Unterschiedlich ist dann die Rangfolge der Werte, z.B. wie oft gebetet werden soll, wie hoch die Gastfreundschaft angesiedelt wird usw.
Dass diese Wertsysteme sozial konstruiert sind, erscheint notwendig. Bedeutet das auch, dass die Werte beliebig sind? Ich denke nicht. Jede Kultur muss das Zusammenleben ihrer Mitglieder so regeln, dass Einzel- und Gemeininteressen in einer gegebenen Umwelt, in dem Sinn einen Ausgleich finden, dass die Kultur lebensfähig bleibt. Dass also Werte an typisch menschliche Notwendigkeiten geknüpft sind.
Der Mensch ist niemals nur ein Einzelwesen. Menschen sind auf andere Menschen angewiesen, damit sie überhaupt Mensch sein können. Damit kommt der Gemeinschaft und dem Gemeinsinn ein bedeutender Wert zu. Und auch hier entsteht ein ethischer Wert nur dann, wenn die Bedeutung des Gemeinsinns erkannt und anerkannt wird.
Individuelle Werte
Wenn Werte aber tatsächlich notwendig für ein gedeihliches Miteinander sein sollen, warum ist es dann möglich, Werten zuwiderzuhandeln? Ganz offensichtlich ist wertorientiertes Handeln nicht zwingend. Sei es, dass den Handelnden die Werte gar nicht bekannt sind oder auch, dass sie wohlwissend und vorsätzlich wertwidrig handeln.
Ich würde sagen, dass hier die individuelle Handlungsmacht auf der Bühne erscheint. Ich bin als Mensch eben nicht nur ein Natur- und Kulturwesen, sondern auch noch ein selbstbestimmtes und bewusstes Individuum. Das bedeutet: Eine Person, die ihr Leben führen muss, ein Einzelner, der ein Selbstverhältnis hat und der seine persönliche Geschichte schreibt.
Das Wertebewusstsein von Individuen wächst allmählich heran. Am Beginn des Lebens steht noch eine starke Selbstorientierung – gut ist, was mir guttut. Dann steht eine Phase an, in der die familiäre Werteregelung verinnerlicht wird – gut ist, was Mama und Papa sagen. Erst später beginnt das Kind vielleicht nach rationalen Gründen für Werte zu suchen – gut ist, was ich als gut begründen kann. Ein möglicher nächster Schritt wäre, sich bewusst gewählte Werte zu eigen zu machen. Wenn diese Höhe einmal erreicht ist, könnte die Person nun auch relative Werte annehmen und weiter, den Raum für Wertansprüche auf nicht-menschliche Wesen ausdehnen.
Die persönliche Geschichte erzählt sich nicht in einem abstrakten und isolierten Raum, sondern in einer dichten, reichhaltigen und unübersichtlichen Lebenswelt, die ständig mit Fragen konfrontiert und ständig Entscheidungen abfordert. Aus den zurückliegenden Kapiteln meiner Geschichte habe ich gelernt, was mir wichtig ist. Ich habe meine Lehren aus meinen Erfahrungen gezogen und Werte daraus entwickelt, die mir helfen, mich zurechtzufinden. Dabei müssen meine persönlichen Werte nicht deckungsgleich mit den kulturellen sein. Aber wann immer ich etwas plane oder eine Entscheidung fällen will, muss ich mich zwangsläufig auf Werten abstützen.
Kann man Werte messen?
In der zeitgenössischen globalen Kultur, vor dem Hintergrund des kapitalistischen Wertesystems scheint Quantität immer Vorrang vor Qualität zu besitzen. „Viel ist gut und noch mehr ist besser!“ So könnte die Maxime lauten. Was sich nicht in Geld bemessen lässt, was sich nicht mit einer engen naturwissenschaftlichen Erkenntnistheorie erklären lässt, wird als beliebig und wertlos betrachtet.
Die Verkürzung von „Wert“ auf „Geldwert“ verschleiert aber die zentrale Rolle, die Werte sowohl für Personen als auch für Gemeinschaften spielen. Natürlich ist der Nutzwert auch ein Wert, der uns etwas Gutes anzeigt. Nur leider lässt uns der Nutzwert im Stich, wenn wir entscheiden sollen, wen wir heiraten wollen, wen wir um Verzeihung bitten müssten oder wem wir vergeben sollten …
Quantitativer Wert ist relativ zur Situation. Der Wert von z.B. Gold wird meist hochgeschätzt. Aber was würde Gold in einer heiklen Situation nutzen – z.B. schiffbrüchig in einem Rettungsboot oder verirrt in der Wüste? Hier wäre jeder Schluck Wasser mehr Wert, als alles Gold der Welt. Aber ebenso wertvoll bliebe Zuversicht, Umsicht oder Fürsorge – falls man nicht allein in der Tinte sitzt.
Der Wert von z.B. Güte, Mitgefühl, Weisheit oder Mut lässt sich nicht mit Geld bemessen. Wer diese Werte verkörpert, wer in den Genuss ihrer Erfahrung kommt, hat etwas Unbezahlbares erfahren.
Vom rechten Maß der Werte
Je nach Wertetradition gibt es so etwas wie Leitwerte. Das sind Werte, auf deren Basis der Rang anderer Werte ermittelt werden kann. Heutzutage ist so ein Leitwert (zumindest in weiten Teilen der Welt) das Achtungsprinzip für alle Mitmenschen. Kein Mensch soll aus Gründen der Hautfarbe, des Geschlechts, des Glaubens oder des Alters geringeschätzt werden.
Dieser Leitwert bringt nun alle möglichen weiteren Werte ins Spiel – Selbstbestimmung, Glaubensfreiheit oder das Recht auf Eigentum, um nur einige zu nennen. Das führt dazu, dass manchmal Werte miteinander in Konflikt geraten. Ganz aktuell der Wert auf Selbstbestimmung vs. den Wert auf körperliche Unversehrtheit.
Solche Wertekonflikte sind nicht neu. Eine Überlegung, die hier weiterhelfen kann, ist es, sich klarzumachen, dass ein Wert, der auf übertriebene Art bevorzugt wird, in einen Unwert umschlagen wird. So wird Mut zur Tollkühnheit, Selbstbestimmung zu Egozentrik, Eigentum zu Gier und Glaubensfreiheit zu Sektierertum, wenn nicht ausgleichende oder begrenzende Werte das rechte Maß bewahren helfen. Mut bräuchte z.B. Vorsicht, Selbstbestimmung den Respekt vor dem Gemeinwohl, Eigentum wäre gut mit einer gewissen Großzügigkeit zu begegnen und für die Glaubensfreiheit wäre wohl Toleranz eine passende Ergänzung.
Eine andere Art, Wertpositionen auf ungute Art einzusetzen, wäre das Moralisieren. Von einem vermeintlich erhabenen Standpunkt aus maßt sich ein Sprecher an, ein moralisches Urteil über einen Mitmenschen zu fällen. Worin auch immer der Leitwert des Sprechers besteht, worin auch immer der tatsächliche oder vermeintliche Verstoß bestand, er oder sie schwingt sich in eine scheinbar überlegene Position und wertet den Hörer ab.
Fazit
Der Begriff der Werte scheint ein wenig angestaubt zu sein. Er habe, so hört man, in einer angeblich rein rationalen und rationalisierten, durchweg objektivierbaren Welt nichts mehr verloren. Zugespitzt: Werte stehen der persönlichen Freiheit und der Naturwissenschaft im Weg.
Ein Gedankenexperiment kann zeigen, in welcher logischen Ordnung Phänomene angesiedelt sind. In diesem Experiment vernichten wir gedanklich etwas und überprüfen, was danach mit untergegangen bzw. noch erhalten geblieben ist. Wenn wir also „Werte“ gedanklich vernichteten, – was geht noch mit verloren? Verloren gingen solche Worte wie „gut“, „schlecht“, „wahr“, „falsch“, „schön“, „hässlich“ etc. – Worte, ohne die keine Sprache der Welt auskommen kann. Werte sind qualitative Kategorien. Ohne Werte blieben bestenfalls quantitative Kategorien übrig. Wer würde in so einer Welt leben wollen? Ich denke, wir würden letztlich das, was wir unter Menschlichkeit verstehen, ebenfalls verlieren.
Aus den Traditionen kennen wir Werte als göttliche Gebote, als abstrakte Ideen, als durch die Vernunft ermittelbar oder als Wegweiser für ein gutes Leben. Werte wurden im Unbegreiflichen vermutet, fern von der menschlichen Sphäre. Alle Versuche, das Unbegreifliche begrifflich zu machen, bringen es mit sich, die Unmittelbarkeit des Werteerlebens gering zu schätzen.
Ich plädiere dafür, die Werte zu pflegen, die das menschliche Leben erst ermöglichen – die Grundlagen unserer Existenz. Das würde den Planeten und das Leben auf diesem Planeten umfassen, ohne den es keine Menschen gäbe.
Auch das ganze Spektrum von Liebe wäre als Wertebereich wichtig, denn wie sollten Menschen bekömmlich ohne Liebe leben können?
Ein weiterer Wertebereich wäre die Gemeinschaft – auch sie ist grundlegend wichtig für die menschliche Existenz.
Dann wäre da noch das Wissen, die Erkenntnis, die einen weiteren Wertebereich darstellt, denn Wissen ermöglicht uns erst, uns selbst und die Welt umfassender zu verstehen.
Das Heilige ist nicht im Himmel, – wir gehen darauf, wir atmen es, es erschafft uns zuallererst und das ist vielleicht das größte aller Wunder.